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„Ich bin ein Helfertyp“ Länderübergreifend vernetzen

Freunde und Verwandte, u.a. viele Väter, engagieren sich sehr gerne, z.B. beim Spendensammeln, hier für ein weltweites 'Virtuelles Rennen' der Amerikanischen Stiftung FamilieSCN2A Foundation

Das Kindernetzwerk hat durch Interviews mit Vätern in der Selbsthilfe herausfinden wollen, wie sich Väter genau in der Selbsthilfe einbringen, was andere Väter davon abhält, sich in der Selbsthilfe einzubringen und was ihre politischen Wünsche für eine funktionierende Selbsthilfe sind. Einer von ihnen ist Nicolas Lorente von SCN2A Germany e.V. und SCN2A Europe.

Herr Lorente, wie kamen Sie zur Selbsthilfe?

Unser Sohn Erik hatte schon im ersten Lebensjahr Entwicklungsprobleme, mit zwei Jahren gab es dann Verdacht auf Autismus, auf die SCN2A-Genmutation wurde er aber erst mit fünf Jahren diagnostiziert. Oft löst die Genmutation schwer verlaufende und schwierig zu therapierende Krampfanfälle (Epilepsien) aus. Auch werden andere neurologische Störungen wie Entwicklungsverzögerungen, Autismus, Schlafstörungen, Muskelspannungsveränderungen und Magen-Darm-Störungen diagnostiziert.

Bis Erik fünf Jahre alt war hatte ich noch nicht über Selbsthilfe nachgedacht, aber dann kam bei unserem Sohn die Epilepsie hinzu. Traurig, aber wahr: Die Genetiker haben uns empfohlen, selbst bei Google zu schauen, was die Krankheit genau bedeutet und ob es noch andere Betroffene gibt.

So bin ich auf eine Stiftung in Amerika und einen Verein in Australien gestoßen, während die Selbsthilfe in Europa noch ganz am Anfang stand. Es haben vielleicht je 100 bis 200 Familien aus den USA, Australien und Europa diesen diagnostizierten Gendefekt, eine Koordination gleich auf europäischer Ebene ist also wichtig, da die Zahl der Betroffenen so klein ist. Ich bin Spanier, habe in Frankreich studiert, bin also sehr europäisch orientiert, so dass für mich dann klar war, es braucht eine Struktur, der europaweit aufgestellt ist und alle miteinander vernetzt. Und so habe ich die anderen Familien europaweit kontaktiert und eine geschlossene FB-Gruppe erstellt, mit dem Ziel, irgendwann einen ‚europäischen‘ Verein zu gründen. Letztes Jahr wurde dann der Verein im deutschsprachigen Raum gegründet (SCN2A Germany e.V.). Auch weitere nationale Vereine wurden in den letzten Jahren gegründet – das zeigt, dass SCN2A auch in Europa immer relevanter wird.

Was machen Sie in der Selbsthilfe?
Ich bin ein Helfertyp: Da es so wenig diagnostizierte Kinder gibt, müssen wir alle betroffenen Familien zusammenbringen, damit sie sich an Studien beteiligen, um Medikamente zu entwickelt. In den USA sind Studien gestartet, aber leider gibt es Probleme, genügend Kinder für die Studien zu rekrutieren.

Wir kennen diese Situation leider nur zu gut: Es gäbe eigentlich ausreichend betroffene Fälle, aber sie werden 1. zu spät – als junge Erwachsene – diagnostiziert, wenn überhaupt, bzw. 2. die betroffenen Familien wissen nichts von möglichen Studien. Ihnen muss geholfen werden! Ich will so viele Familien wie möglich vernetzen. Das dritte Problem sind die fehlenden Übersetzungen der Dokumentation über Studien. Die Folge: Viele Familien, die die Fragebögen nur auf Englisch bekommen und die Sprache nicht verstehen, nehmen dann nicht teil. Bürokratische Hürden dürfen kein Ausschlusskriterium sein. Wir brauchen mehrsprachige Ansprachen! Hier zu helfen, darin sehe ich eine meiner Hauptaufgaben.

Wie wirkt sich die Beteiligung der Väter in der Selbsthilfe auf die Kinder aus?  

Ich bin Ingenieur und eher pragmatisch: In der Krankheitsdiagnose geht es immer wieder um das Thema Forschung, um Studien, warum wir mit den Pharmakonzernen kooperieren sollten. Das ist eher meine Schiene. Mütter sind eher in der Unterstützung der Familien, Väter eher in der medizinischen Recherche, in der Diagnostik. Das sind meiner Meinung nach die beiden Schienen und eine gute Aufteilung. Einer allein kann nicht alles abdecken. Ich frage mich auch, ob es gesund für eine Beziehung ist, wenn sich die Mutter um alles kümmert? Wenn sich die Väter komplett abschirmen?

Wie bekommt man mehr Männer in die Selbsthilfe?

Das ist eine gute Frage. Ich sehe, dass sich die Väter oft außerhalb der Krankheit bewegen und nicht in den Verein involviert werden wollen.

Es wäre schön, wenn sich mehr Väter engagieren würden, aber jede Familie hat genug mit ihrem besonderen Alltag zu tun, es ist sehr schwierig sie zu locken, oft weil die Väter die (allein) Hauptverdiener der Familie sind. Hinzu kommt die Sprachbarriere: Da der Gendefekt so selten ist, gibt es viele Sprachen, in denen man sich austauscht.

In unseren regen geschlossenen FB-Gruppen allerdings sind alle Geschlechter gut vertreten: Hier fragen alle Gleichgesinnte frei nach Medikamenten, Verhaltensauffälligkeiten, es gibt dort viele Informationen zu Studien, Krankheit, Veranstaltungen, Konferenzen.

Und auch in unserer Whatsapp-Gruppe unseres deutschen Vereins tauschen sich die Familien ideenreich aus. Das ist sensationell. Denn das größte Problem ist ja nicht nur die geistige Behinderung und Epilepsie der Kinder, sondern vor allem die schwere Dauerbelastung der Familien. Der Austausch genau darüber ist für die Familien wahnsinnig wichtig.

Was wünschen Sie sich als Vater in der Selbsthilfe von der Politik?

Mein Thema ist die Diagnostik. Es ist noch viel zu unbekannt, dass die Gen-Diagnostik seit 2021 von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird. Das ist eine wichtige Information für die Familien, die noch keine Diagnose haben. Die Patientenaufklärung muss besser laufen: Auch dass es erlaubt ist, eine 2. Meinung zu erhalten und dass sich betroffene Eltern an Zentren von seltenen Erkrankungen wenden können.

Nur so können mehr Kinder diagnostiziert werden. Es gibt rund 8000 seltene Erkrankungen, davon sind rund 50 Prozent neurologisch. Viele davon kann man mit Gentests feststellen! Das ist manchmal eine lebensrettende Information, die breiter veröffentlicht werden muss.

Nehmen Sie Kontakt auf:
Nicolas Lorente

SCN2A Germany e.V.                       SCN2A Europe

https://www.scn2a.de/                      https://www.scn2a.eu

Hochdahler Str. 100                           Geitauer Str. 2
40724 Hilden                                      81379 München

E-mail: info@scn2a.de                        E-mail: scn2a@web.de

Die Fragen stellte Birte Struntz, Mitarbeiterin des Kindernetzwerk e.V. August 2023

Das Kindernetzwerk ist der Dachverband der Selbsthilfe von Familien mit Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen. Wir informieren rund um den Versorgungsalltag der Selbsthilfe mit aktuellen Nachrichten. Für unsere rund 250 Mitgliedsorganisationen / Institutionen und 650 Einzelmitglieder sowie 220 Kliniken und Einrichtungen bieten wir ein starkes Netz, teilen Informationen, Nachrichten und Termine, bereiten wichtige Themen auf und stellen sie zur Diskussion. Daher ist es uns wichtig, auch diese digitalen Angebote mitzuentwickeln und gut im Blick zu haben.

Wir helfen Ihnen gern bei Interviews mit den Zitatgeber:innen und unterstützen Sie bei der Recherche von Protagonist:innen. Birte Struntz, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 030 25765960 struntz@kindernetzwerk.de 

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