Kindernetzwerk protestiertKritik am IPReG
Wir haben in der Vergangenheit immer wieder vor den Türen des Gesundheitsministeriums gegen den Gesetzesentwurf Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) protestiert und fordern weiterhin: Intensiv-Pflegebedürftige sollen besser versorgt, Fehlanreize in der Intensivpflege beseitigt und die Selbstbestimmung der Betroffenen gestärkt werden.
Das im Herbst 2020 verabschiedete „Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPReG)" bedeutet für die außerklinische Intensivpflege jedoch einen gravierenden Paradigmenwechsel.
"Aus einer inhomogenen Versorgungslandschaft mit unzähligen Regeln und Normen, Verträgen und Absprachen möchte der Gesetzgeber nun ein strukturiertes Versorgungssegment im deutschen Gesundheitswesen etablieren. Für die Betroffenen sowie alle in der außerklinischen Intensivversorgung tätigen Berufsgruppen, Leistungsträger und Leistungserbringer, sind wohl erhebliche Veränderungen zu erwarten. Um diesen Prozess konstruktiv zu begleiten, treffen sich im Rahmen eines Think Tank „GKV-IPReG" seit dem 29. September 2020 Betroffene, An- und Zugehörige, Vertreter*innen aus Selbsthilfe, Medizin, Wissenschaft, Medizintechnik, Pflege und Therapie, um den laufenden bundesweiten Diskurs, den das GKV-IPReG angestoßen hat, bis hinein in die Erstellung der Richtlinie für die Verordnung außerklinischer Intensivpflege des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und von Bundesrahmenempfehlungen fachlich, ethisch und politisch zu begleiten und deren Ausgestaltung zu prüfen. Der Fokus liegt auf den Bedürfnissen und Bedarfen von Menschen, die einer außerklinischen Versorgung, insbesondere außerklinischer Intensivpflege bedürfen, sowie deren Zu- und Angehörigen. Es handelt sich hier um eine relativ kleine, sehr heterogene, höchst vulnerable und schwerstpflegebedürftige Bevölkerungsgruppe, die von Behinderung und Benachteiligung bedroht ist. Dem muss mit individuell angepassten, angemessenen, umfassenden sowie komplexen Ausgleichsbedarfen und darüber hinaus mit Teilhabesicherung Rechnung getragen werden.
Die interprofessionelle Gruppe hat zentrale Begriffe unter die Lupe genommen und diese zu Essentials zusammengefasst. In einer Langfassung werden die einzelnen Essentials noch kommentiert. Die gemeinsam erarbeiteten Essentials sind auch Vorarbeit für das Stellungnahmeverfahren zur G-BA Richtlinie, denn sobald der Richtlinien-Entwurf vorliegt, wird der Think Tank erneut zusammentreten.", so der gkv-ipreg.
Nun gibt es eine gkv-ipreg-Kampagne: Ich mache Abitur!
#selbstundbestimmt
die wir gern an dieser Stelle teilen und unterstützen möchten.
Wenn auch Sie als Betroffene mit dem Think Tank Kontakt aufnehmen möchte, schicke bitte eine E-Mail an mail@gkv-ipreg.info
Das Kindernetzwerk ist zusammen mit INTENSIVkinder zuhause e.V. und IntensivLeben e.V. Teil dieser impulsgebenden Gruppe.
Hier geht es zu ihrem aktuellen Positionspapier...
Historie RISG
Das Gesetzesvorhaben von Gesundheitsminister Jens Spahn vom 14. August 2019 hatte im Netzwerk großes Unverständnis und laute Kritik geerntet. Sein 1. Gesetzentwurf sah u.a. vor, dass für IntensivpflegepatientInnen, die beatmet werden müssen, nur noch dann zu Hause gepflegt werden können, wenn „die Pflege in einer Einrichtung ... nicht möglich oder nicht zumutbar ist". Weiter hieß es: „In Ausnahmefällen kann die außerklinische Intensivpflege auch im Haushalt des Versicherten oder sonst an einem geeigneten Ort erbracht werden."
Gesetzentwurf zu unkonkret – Selbstbestimmung muss bleiben
In dem Entwurf kam jedoch keine Selbstbestimmung der Betroffenen mehr vor: Daher forderte das Kindernetzwerk eine Nachjustierung des Gesetzentwurfes und ein Wahlrecht der Familien mit IntensivpflegepatientInnen, ob sie in Spezialeinrichtungen, Kliniken oder zu Hause gepflegt werden wollen. Fehlt dieses Recht, könnte es dazu kommen, dass jeder Einzelfall rechtlich eingeklagt werden müsste.
RIGS widerspricht jedem Inklusionsgedanken
Für Annette Mund, Vorsitzende des Kindernetzwerks, stand der RISG-Entwurf jedem Inklusionsgedanken von Intensivpflege-Kindern und -Jugendlichen entgegen: „Es entsetzt uns zutiefst, dass das Recht auf Selbstbestimmung, Wahlfreiheit und Teilhabe mit einem Schlag von staatlicher Seite beiseite gefegt werden soll. Egal, welche Beweggründe für den Gesetzesentwurf ausschlaggebend waren, es darf keine Rückkehr zu staatlich angeordneten Zwangsmaßnahmen geben."
Das Kindernetzwerk trug verschiedene Positionen aus dem Netzwerk zusammen, die zeigen, wie differenziert und vielschichtig die Bedarfe von IntensivpflegepatientInnen zu beurteilen sind.
Die Fachgesellschaft für außerklinische Intensivpflege e.V. beklagte:
„Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, bedeutet die Ausgliederung faktisch eine Umkehr des bisherigen Anspruchs auf freie Wahl des Leistungsortes und mithin eine Umkehr des bisherigen des Grundsatzes ambulant vor stationär, da diesen fortan häusliche Krankenpflege (mit Ausnahme der vorgesehenen Bestandsschutzregelung) in dessen Haushalt, Familie oder sonstigem geeigneten Ort nur noch dann gewährt wird, wenn eine Versorgung in stationärer Pflegeeinrichtung oder Wohneinheit nicht möglich ist oder ihm diese nicht zugemutet werden kann. Den Nachweis der Unzumutbarkeit hat der Versicherte zu erbringen, so dass dieser fortan nicht nur veranlasst ist, den Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung häuslicher Krankenpflege im Sinne einer ständigen Krankenbeobachtung zur Vermeidung lebensbedrohlicher Zustände zu erbringen, sondern im einzelnen auch darzulegen und nachzuweisen, dass ihm eine außerhäusliche Versorgung aus persönlichen, familiären oder örtlichen Umständen unzumutbar ist."
https://knaib.de/wp-content/uploads/2019/08/KNAIB-Stellungnahme-Referentenentwurf-Novellierung-SGB-V-v.pdf
Der Intensivkinder e.V. ist gegen die ausschließliche stationäre Pflege:
„ ...beatmete und tracheotomierte Menschen (sind) immer immunsupprimiert und (gehören) in stationären Pflegeeinrichtungen zu der am stärksten gefährdeten Patientengruppe. Das gewohnte, häusliche Keimspektrum ist für diesen Personenkreis hingegen in der Regel unbedenklich. Aufgrund der erworbenen Expertise von Angehörigen und dem Pflegepersonal in der Häuslichkeit können Infekte und Krisen frühzeitig erkannt, gut beherrscht und behandelt werden, während Einrichtungen und Pflege-WGs ihre Patienten bei jeder Unklarheit oder Krise über die notärztliche Versorgung den Rettungsstellen zuführen." ...
Die Barmer setzt sich für die Verbesserung der Qualität der Intensivpflege ein:
„Die Intention des Gesetzentwurfs, die Qualität der Intensivpflege zu verbessern, ist richtig. Die vorgesehene Zumutbarkeitsprüfung über den Verbleib von Patienten mit Intensivpflege in der eigenen Wohnung muss im weiteren Gesetzgebungsverfahren überprüft werden. (...) Die hohe Behandlungsqualität muss durch besonders qualifizierte und interdisziplinäre Teams sichergestellt werden. Der erhebliche medizinische Behandlungsbedarf der Patienten erfordert eine adäquate Fachkraftquote in den vollstationären Einrichtungen. Es ist richtig, dass für eine Verordnung von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege künftig ein besonders qualifizierter Vertragsarzt notwendig ist."
Die Fachgesellschaft für außerklinische Intensivpflege e.V. setzt dagegen:
Die in § 38 c Abs. 1 S. 2 SGB V vorgesehene Einschränkung, wonach für die Verordnung der entsprechenden Leistungen nicht mehr der allgemeine Kassenarztvorbehalt, sondern ein solcher „qualifizierter Vertragsärzte" vorgesehen ist, stellt die Versicherten, die bereits heute Schwierigkeiten bei der Stellung einer hausärztlichen Versorgung haben, vor das faktische Problem, einen „qualifizierten" Vertragsarzt zu finden, der die zu verordnende häusliche Intensivpflege verantwortet und attestiert. Ob vor dem Hintergrund des Ärzte- / Fachärztemangels die Versorgungsqualität durch die Regelung erhöht wird, mag bezweifelt werden.
Auch der Intensivkinder e.V. ist dagegen:
„Solange qualifizierte Vertragsärzte mit Expertise in der außerklinischen Beatmung nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind, muss die HKP weiterhin vom Kinder- oder Hausarzt verordnet werden dürfen."
Der Deutscher Kinderhospizverein mahnt:
"Weiterhin ist nicht erkennbar, ob auch die außerhäusliche Pflege in Kindergärten, Schulen oder während z.B. gemeinsamen Unternehmungen der Familien zugelassen ist. Ein Rechtsanspruch besteht nach § 37c zumindest nicht mehr. Dieser ist aber unabdingbar, um die Teilhabe der Minderjährigen an öffentlichen Bildungsangeboten zu gewährleisten. (...)
Ebenso räumt der Entwurf ein, wenn die Pflege in einer Einrichtung nach Satz 1 nicht möglich ist oder zumutbar ist, kann die außerklinische Intensivpflege auch im Haushalt oder in der Familie der Versicherten oder sonst an einem geeigneten Ort erbracht werden. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen'. Die Erfahrungen zahlreicher Familien im Umgang mit Kostenträgern zeigen jedoch, dass bei Ermessensentscheidungen häufig andere, wie z.B. wirtschaftliche Gründe dem Patientenwohl vorangestellt werden. Dies ist mit Blick auf die jungen Menschen, die wir vertreten, unzumutbar und beschneidet das in der UN- Behindertenkonvention in Artikel 19a verbriefte Recht auf die freie Bestimmung des Aufenthaltsortes sowie die Gewährleistungspflicht des Staates, nicht zum Leben in einer besonderen Wohnform verpflichtet werden zu können."
Die Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für außerklinische Beatmung (DIGAB) e.V. findet den Entwurf insgesamt überarbeitungswürdig:
„Es ist an der Zeit, die Strukturen wirklich zu reformieren, sodass jeder Mensch mit außerklinischer Beatmung eine bedarfsgerechte, sinnvolle Versorgung erhält. Dazu benötigen wir für diese heterogene Patientengruppe eine dezidierte Indikationsstellung für die 1:1-Versorgung, aber auch deutlich mehr abgestufte Behandlungsmöglichkeiten z.B. in frührehabilitativen pneumologischen Einrichtungen, intermediären Intensivpflegeeinrichtungen, Pflegeeinrichtungen, Wohngruppen, Intensiv-Wohngemeinschaften usw. Für diese Versorgungsstufen müssen klar definierte Finanzierungs-, Struktur- und Qualitätsvorgaben geschaffen werden. Teilhabefähigkeit, selbstbestimmtes Leben und das soziale Umfeld müssen entscheidende Kriterien für die Versorgung sein."
https://digab.de/aktuelles/pressemitteilung-zum-vorliegenden-referentenentwurf-der-bundesregierung/