Chronisch kranke Kinder nicht bestmöglich versorgtMaterialengpässe in der ambulanten und stationären Pflege
16.04.2020:
Bei unserem Online-Aufruf, uns von aktuellen Problemen aus erster Hand zu berichten, erreichten uns bedrückende Zuschriften. Sie decken sich mit Informationen, die wir von Verbänden und Organisationen erhalten haben: Besonders dramatisch sind die akuten Engpässe bei Hilfsmitteln und Zubehör sowie der Mangel an Schutzausrüstung. In der ambulanten Pflege von beatmeten und intensivpflegebeürftigen Kindern und Jugendlichen ist eine Vielzahl an Verbrauchs- und Einwegmaterial notwendig. Teilweise bestehen bereits Engpässe, da Lieferketten abreißen. Nachschub kann oft nicht in Aussicht gestellt werden. Und Nachbestellung bei höherem Bedarf im Fall von Infekten, wie sonst üblich, kann nicht mehr bedient werden.
Die Deutsche interdisziplinäre Gesellschaft für außerklinische Beatmung (DIGAB) empfiehlt sparsam mit Verbrauchsmaterial umzugehen und Wechselintervalle zu vergrößern. Praktisch ist dies aber nur nur beschränkt möglich, da die Verordnungs- und Genehmigungspraxis nicht vorsieht, Vorratshaltung zu betreiben. Auch birgt die länger als vorgeschriebene Verwendung von Verbrauchsmaterial gesundheitliche Gefahren für Patienten, und ein allgemeiner Rat bei der Wiederaufbereitung kann nicht erteilt werden, wie uns die 2. Bundesvorsitzende Henriette Catalono vom Elternselbsthilfeverein INTENSIVkinder zuhause e.V. erläuterte. Zwar können einzelne Artikel ausgespült und getrocknet, abgekocht oder in Sterilisatoren wiederaufbereitet werden. Jedoch ist dann in jedem einzelnen Fall eine Rücksprache mit dem Provider anzuraten, da ein Verformen, Verschmelzen, Verkeimen dabei nicht auszuschließen ist - von den rechtlichen Folgen ganz zu schweigen.
Zudem fehlt es ambulanten Pflegekräften an der professionellen Schutzausrüstung (u.a. FFP3-Masken). Dies ist brisant, weil die Fachpflegekräfte häufig in mehr als einer Familie arbeiten und im Falle einer Infektion mehr als einen Patienten anstecken können - während die Pflegefachkraft selbst für andere Pflegeeinsätze ausscheidet.
Ferner bereiten auch die Notstandsgesetze in Bayern große Sorge. Da diese die Beschlagnahmung von Zweit- und Ersatzgeräten (Beatmungsmaschinen) in Intensivpflege-WGs möglich machen, wäre der Betrieb einer häuslichen Beatmungsversorgung nicht mehr möglich.
Angst vor Einlieferungen ins Krankenhaus aufgrund nicht gesicherter häuslicher Pflege
Das Worst-Case-Szenario stellt eine Einlieferung ins Krankenhaus aufgrund nicht mehr gesicherter häuslicher Pflege dar. Intensivpflegebedürftige Kinder haben eine schwache körpereigene Immunabwehr und und zählen in Kliniken zu der am stärksten gefährdeten Gruppe, weil sie dort auf eine Vielzahl an multiresistenten Klinikerregern treffen.
Da sowohl Eltern um diesen Umstand wissen, als auch niemandem daran gelegen sein kann, Kliniken zusätzlich mit jungen Patienten zu belasten, die an sich stabil sind und auch häuslich versorgt werden könnten, müssen die Leistungen der Verhinderungspflege kurzfristig erhöht werden. Den Sorgeberechtigen sollte die Unterstützung durch bereits eingewiesene, vertraute Personen ermöglicht werden, die bereits vor der Krise im Rahmen der Verhinderungspflege beschäftigt wurden. Diese könnten die Familien wenigstens stundenweise entlasten, um sich um die Pflege der Kinder und Jugendlichen zu kümmern.
Forderung nach ausreichender Ausstattung, Coronatests und Konzepten für Schule und Arbeit
Besonders schutzbedürftigen Familien und Pflegekräften brauchen den Zugang zu benötigten Schutzmaterialen, um die Infektion nicht von außen einzuschleppen. Und mit Blick auf die Zeit nach dem Lockdown müssen entsprechende allgemeine Regelungen hinsichtlich Homeschooling pflegebedürftiger Kinder und ihrer Geschwister sowie einer an die Situation angepassten, flexibleren Arbeitsgestaltung der mehrfach-belasteten Eltern gefunden werden. Außerdem muß die Risikogruppe der Kinder und Jugendlichen mit seltenen Erkrankungen bei Coronatests bevorzugt werden.
Zwar herrscht großes Verständnis für die Bevorzugung von Kliniken bei der Versorgung mit Schutzmaterial, jedoch darf auch die ambulante Versorgungssituation nicht aus dem Fokus geraten. Nur bei ausreichendem Schutzmaterial können Arztbesuche, Untersuchungs- und Therapietermine gesichert werden oder Physiotherapien wieder zugelassen werden, damit die Patienten ausreichend mobilisiert werden, um deren Pneumonierisiko nicht zu erhöhen.
Beratung bei Kindernetzwerk
Politisch bedingte Problemlagen können wir dadurch zwar nicht lösen, doch wir stehen zur Seite, im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten wieder neue Wege zu finden: Wir haben ein offenes Ohr, kennen Unterstützungsmöglichkeiten und haben ein Netzwerk an Ansprechpartnern, die weiterhelfen können. Parallel zu unseren politischen Appellen bieten wir auch eine psychosoziale Beratung - per Telefon oder E-Mail. Unsere Beratung ist montags bis donnerstags zwischen 10 und 12 Uhr erreichbar unter: 06021 - 12030 oder info@kindernetzwerk.de (Ansprechpartnerin: Birgit Fuchs).