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Sachlage: Das GKV-IPReG    Die neuen Regelungen zur Außerklinischen Intensivpflege

In einem vom knw mitgezeichneten Positionspapier vom 19.09.2023 fordern 20 Verbände umgehend Nachbesserungen am Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG). Eine Zusammenfassung der Inhalte des vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm), dem INTENSIVkinder zuhause e.V., dem Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) und dem IntensivLeben – Verein für beatmete und intensivpflichtige Kinder und Jugendliche e.V. verfassten Forderungspapiers mit weiteren Informationen zu den Hintergründen und zu Lösungsansätzen finden Sie nachfolgend.

AKI – das bedeutet Außerklinische Intensivpflege. Diese benötigen Menschen dann, wenn der Gesundheitszustand aufgrund einer chronischen Erkrankung oder Behinderung rund um die Uhr beobachtet werden muss, damit im Falle von unvorhersehbar eintretenden lebensbedrohlichen Zwischenfällen jederzeit ein rettender Eingriff durch eine geschulte Pflegeperson möglich ist. Diese Leistung war vorher als spezielle Krankenbeobachtung Bestandteil in der „Häuslichen Krankenpflege Richtlinie“ nach § 37 SGB V. Jetzt greifen allerdings die gesetzlichen Änderungen, die durch das GKV-IPReG, also das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz, am 23. Oktober 2020 vom Bundestag beschlossen wurden.  

Das Gesetz ist damals trotz vieler Proteste und fachlicher Einwände verabschiedet worden und beinhaltet ein schrittweises Inkrafttreten der neuen Regelungen. Betroffen von dem Gesetz sind etwa 22.500 Menschen mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene machen nur einen kleinen Anteil der Betroffenen aus. Genaue Zahlen gibt es bisher nicht. Die Mehrheit der gesamten Patient:innengruppe ist beatmete oder trachealkanüliert. Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt es jedoch eine Patientengruppe mit anderen heterogenen Funktionsbeeinträchtigungen, bei denen es ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich zu lebensbedrohlichen Situationen kommen kann (z.B. therapieresistente Epilepsien mit hoher Krampfanfall-Frequenz).  

Aus Perspektive des knw sind die Belange der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und der Pädiatrie nicht ausreichend berücksichtigt. So wurde keine eigene Richtlinie für Kinder und Jugendliche erstellt, obwohl deren besondere Berücksichtigung durch den Gesetzgeber vorgesehen war. Daher passen die Vorgaben nicht zu den Bedarfslagen junger intensivpflegebedürftiger Menschen. Statt zu einer Verbesserung der Versorgung, wie es das GKV-IPReG vorgesehen hatte, könnte es nun für die jungen Menschen zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgung kommen. 

Untergesetzliche Vorgaben, die bestimmend für die AKI sind 

Für die Umsetzung der ambulanten Intensivpflege (AKI) hat der Gesetzgeber Regelungen auf untergesetzlicher Ebene vorgesehen. Dazu gehören insbesondere: 

  • Die Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie (AKI-RL): Auch die AKI-RL wurde trotz berechtigter Zweifel verabschiedet. Sie ist seit dem 18. März 2022 in Kraft, aufgrund einer Übergangregelung aber erst zum 31. Oktober 2023 endgültig wirksam.23 Die AKI-RL regelt u.a. für welchen Personenkreis die Außerklinische Intensivpflege in Frage kommt (§ 4 AKI-RL), welche Ärzt:innen die Leistung verordnen dürfen (§ 9 AKI-RL) und welche Ärzt:innen zur sogenannten Potenzialerhebung befugt sind (§ 8 AKI-RL).  
  • Die Rahmenempfehlungen nach § 132l SGB V zur Versorgung mit außerklinischer Intensivpflege (im Folgenden: AKI-RE): Die Rahmenempfehlungen sind seit 1. Juli 2023 in Kraft. Sie regeln die Qualifikation der Pflegefachkräfte und die Grundsätze für die Bemessung des Personalschlüssels.  
  • Die Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes zur außerklinischen Intensivpflege (BGA-AKI): Sie wurde am 2.Juni 2023 vom Medizinischen Dienst (MD) verabschiedet und regelt die Umsetzung der verpflichtenden Begutachtung, die bei jeder AKI-Versorgung ansteht. Geregelt werden die Kriterien, Maßstäbe sowie Arbeits- und Bewertungsschritte für die Begutachtung, damit die Anspruchsvoraussetzungen für eine ambulante Intensivpflege geprüft werden können. 

Probleme 

Das GKV-IPReG wird erst nach und nach wirksam und daher zeigen sich die praktischen Auswirkungen des Gesetzes ebenfalls erst nach und nach. Die volle Wirksamkeit entfaltet das GKV-IPReG erst ab dem 31. Oktober 2023. Zu diesem Zeitpunkt endet die Übergangsfrist und der Anspruch auf Häusliche Krankenpflege entfällt für AKI-Patient:innen. Verordnungen von außerklinischer Intensivpflege dürfen dann nur noch auf der Grundlage der neuen AKI-Richtlinie erfolgen. Verbände der Behindertenhilfe und Selbsthilfe sehen folgende Probleme, dies sich bereits jetzt durch Rückmeldungen betroffener Patient:innen abzeichnen: 

Problem 1: Die Pflegefachkraftpflicht führt zur Einengung des Personenkreises 

Der Anspruch auf AKI hängt davon ab, dass die Versicherten auf die „ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft“ angewiesen sind. Verordnet werden kann die Leistung danach für Versicherte, bei denen ”wegen Art, Schwere und Dauer der Erkrankung die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft notwendig ist, weil eine sofortige ärztliche oder pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich unvorhersehbar erforderlich ist.“  

Das GKV-IPReG hat vorgegeben, dass der anspruchsberechtigte Personenkreis weder ausgeweitet noch eingeengt werden soll. Aber mit Ende der Übergangsregelung zur AKI-RL wird die Regelung in der HKP-RL, in der vormals die außerklinische Intensivpflege als spezielle Krankenbeobachtung geregelt war, zum 31. Oktober 2023 gestrichen. Im Ergebnis bedeutet das: Wenn die AKI durch die Krankenkasse abgelehnt wird, gibt es für die Betroffenen keine Versorgungsmöglichkeit über die HKP-RL, die eine kontinuierliche Krankenbeobachtung zum Beispiel auch durch Assistenzkräfte zulässt. In der Folge werden die Qualifikationsvoraussetzungen in der AKI-RL zu einer Verengung des bislang leistungsberechtigten Personenkreises führen. Da nicht alle Patient:innen eine Pflegefachkraft für die Krankenbeobachtung benötigen, ist von einer Leistungsverschiebung in die Eingliederungshilfe (SGB IX) und die Hilfe zur Pflege (SGB XII) auszugehen. Im Gegensatz zur AKI-Leistung sind diese für Eltern von minderjährigen Kindern mit Behinderung jedoch teils einkommens- und vermögensabhängig. Da krankheitsspezifische Überwachungs- und Interventionsbedarfe im Leistungsbereich der Krankenversicherung liegen und sich nicht dem Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe oder Grundpflege zuordnen lassen, sind rechtliche Auseinandersetzungen vorprogrammiert. 

Problem 2: Selbst beschaffte Kräfte / Persönliches Budget 

Durch die hohen Qualifikationsanforderungen und den gleichzeitig herrschenden Fachkräftemangel in der Pflege ist es zunehmend schwierig, eine Versorgung in der Familie oder der eigenen Häuslichkeit sicherzustellen. Bisherige Versorgungen, die über das Persönliche Budget laufen und in denen selbst geschulte Assistent:innen eingesetzt werden, sind allerdings im Rahmen der AKI-RL nicht mehr vorgesehen. Es gibt bereits die Rückmeldung, dass Krankenkassen diese Fälle per Definition nicht als AKI einstufen, da die Versorgung auch ohne eine Pflegefachkraft umgesetzt werden kann. Das Problem baden die Betroffenen aus, wenn sie keine Pflegefachkräfte finden, die langjährig pflegenden Assistenzkräfte aber nicht mehr finanziert werden. Da hilft der Kostenerstattungsanspruch in § 37c Absatz 4 Satz 1 SGB V für eine selbstbeschaffte Pflegefachkraft auch nicht weiter.  

Problem 3: Potenzialerhebung 

Das GKV-IPReG sieht bei beatmeten oder tracheotomierten Patient:innen verpflichtend die Erhebung des Potenzials für eine Beatmungsentwöhnung oder Dekanülierung mit nahezu jeder Verordnung vor (§ 37c Absatz 1 Satz 6 SGB V). Diese Potenzialerhebung darf nur von besonders qualifizierten Ärzt:innen vorgenommen werden (§ 8 AKI-RL). Entsprechende Ärzt:innen sind aber in der erforderlichen Anzahl insbesondere für Kinder- und Jugendliche nicht vorhanden, wie in dem Bundesgesundheitsportal festzustellen ist.  

Um die vorgesehene ärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen, wäre eine umfassende Beteiligung von Krankenhausärzt:innen erforderlich, die in der Regel bisher die medizinische Begleitung der jungen Patient:innen übernommen hatten. Angesichts der akuten Versorgungskrise in der Krankenhauslandschaft ist der erfolgreiche Aufbau dieser flächendeckenden Versorgungsstrukturen jedoch nicht passiert. Dies belegen die aktuellen Zahlen der im Gesundheitsportal des Bundes für die Potenzialerhebung gelisteten Fachärzt:innen für Kinder- und Jugendliche.  

Der G-BA hat deshalb eine Übergangsfrist für die Potenzialerhebung beschlossen. Bis zum 1.1.2024 steht in der AKI-RL, also auf untergesetzlicher Ebene, ein „sollen“ statt eines „müssen“. Das heißt im rechtlichen Sinne, wenn es möglich ist, muss die Potenzialerhebung erfolgen. Eltern sollten daher ihre Bemühungen um einen Termin für eine Potenzialerhebung gut dokumentieren. Die vom G-BA vorgesehene Übergangsregelung der AKI-RL ist nicht geeignet, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die dort beschriebenen Ausnahmen sind außerdem rechtlich im GKV-IPReG nicht abgesichert und führen demzufolge zu Problemen bei der Prüfung des Leistungsanspruchs durch den MD. Die Potenzialerhebung vor einer Verordnung ist für beatmete und trachealkanülierte Kinder daher weiterhin notwendig, da sonst keine Rechtssicherheit besteht.  

Problem 4: Verordnung und Versorgungssicherheit 

Die verordnenden Ärzt:innen tragen eine höhere Verantwortung als bisher, da sie für die Koordination der medizinischen Behandlung verantwortlich sind. Sie müssen einen umfassenden Behandlungsplan entwickeln und auch rechtzeitig das Verfahren zur Potenzialerhebung einleiten. Dafür müssen sie eng mit den hierfür zugelassenen Fachärzt:innen zusammenarbeiten. Da die potenzialerhebenden erforderlichen Strukturen jedoch nicht verfügbar sind, insbesondere für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, ist der Aufwand unverhältnismäßig hoch, die Leistungsanforderungen zu erfüllen. Es zeigt sich bereits jetzt eine starke Zurückhaltung bei niedergelassenen Ärzt:innen, sich an der Versorgung zu beteiligen. In der Folge fehlt es daher auch an verordnenden Ärzt:innen, wodurch die Verordnungssicherheit und damit die Versorgung der Patient:innen gefährdet sind. 

Problem 5: Evaluation 

Ab Zeitpunkt des Inkrafttretens von Artikel 2 GKV-IPReG soll ein begleitendes Monitoring erfolgen. Aber aus Sicht des knw fußt das Gesetz auf einer mangelhaften Datenlage. Denn bisher hat noch keine sachgerechte Differenzierung des heterogenen Personenkreises stattgefunden. So ist beispielsweise bis heute nicht bekannt, wie viele intensivpflegebedürftige Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene es eigentlich gibt und wie viele davon beatmet oder trachealkanüliert sind. Es wird mit den Daten aus der Evaluation der Umsetzung nicht möglich sein, diese im Vergleich zur bisherigen Versorgung zu betrachten. Daher wird es auch schwierig sein zu erkennen, ob sich durch die gesetzliche Neuordnung der Versorgungsstrukturen der Personenkreis ändert. Es besteht die Sorge, dass still und unbemerkt Versorgungssysteme zusammenbrechen und gerade junge Patient:innen aus der Versorgung herausfallen. Denn bereits jetzt schon kompensieren Eltern über Jahre bis zu ihrer Überlastung fehlende Versorgungsstrukturen.  

Das knw hat deshalb ein Positionspapier vom 19.09.2023 mitgezeichnet, in dem 20 Verbände umgehend Nachbesserungen am GKV-IPReG fordern. Das Forderungspapier mit weiteren Informationen zu den Hintergründen und zu Lösungsansätzen finden Sie unter folgendem Link:
https://www.kindernetzwerk.de/downloads/230919_A_nderungsbedarf___37c_SGB_V_Positionspapier_der_Verba_nde_Final.pdf?m=1695112429& 

 

Ansprechpartner:innen

Ansprechpartner:innen für das Verbändepapier vom 19.09.2023 und die hier zusammengefassten Inhalte sind unsere Mitglieder
Henriette Cartolano von Intensivkinder zuhause e.V. und
Markus Behrendt von IntensivLeben e.V.

oder auch unsere Kooperationspartner:innen:
Katja Kruse vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm) und
Thomas Koritz von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e.V. (ISL).

  

Nützliche Links 

> Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) führt ein von der AKTION MENSCH gefördertes Projekt: “Das Recht auf außerklinische Intensivpflege – Begleitung und Umsetzung aus Betroffenenperspektive“ durch. Mit dem Projekt sollen betroffene Menschen informiert, unterstützt und begleitet werden: https://aki-hkp.de/ Fälle, bei denen sich Schwierigkeiten zeigen oder die besonders gut verlaufen, können in anonymisierter Form als Erfahrungsbericht zurückgemeldet werden: https://aki-hkp.de/erfahrungsbericht-einreichen/   

> Unter dem Link https://leben-mit-aki.de finden Betroffene und Interessierte neben tagesaktueller Berichterstattung rund um das Thema Außerklinische Intensivpflege (AKI) die wichtigsten Informationen über das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) und dessen untergesetzliche Regelungen wie beispielsweise die AKI-Richtlinie und die Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes (MD). Mit der Freischaltung der Informationsseite ist ein weiterer wichtiger Meilenstein des im Sommer gestarteten und von der Aktion Mensch geförderten Projektes der ISL erreicht. Das Online-Informationsportal bietet geprüfte Informationen aus Betroffenensicht sowie Handlungsempfehlungen zu verschiedensten Problemlagen, die im Zusammenhang mit der Außerklinischen Intensivpflege stehen – beispielweise eine Kommentierung der neuen 
Vordruckformulare 62 A, B, C mit gezielten Ausfüllhinweisen für Betroffene.

Muster-Widerspruch bei ablehnenden Bescheide oder Leistungskürzungen durch die Krankenkassen für die lebenssichernde Leistung der Außerklinischen Intensivpflege.

> Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm) hat einen online-Ratgeber herausgegeben, der neben verständlichen Erklärungen zu den neuen Rechtsgrundlagen auch rechtliche Tipps sowie Hinweise zu den Verordnungsformularen und den Umgang mit Ablehnungsbescheiden enthält: AKI II // Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie | Bundesverband für Körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm.de)

> Arztsuche: https://gesund.bund.de/suchen/aerztinnen-und-aerzte  

> Für die Verordnung und zum Nachweis der Potenzialerhebung sind besondere Formulare zu nutzen. Diese finden Sie über die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV):  https://www.kbv.de/html/60812.php#content60902  

> Zur Abgrenzung von AKI und HKP-Leistungen hat der Forum Gehirn e.V. ein Dokument veröffentlicht: https://www.shvfg.de/2023/06/15/abgrenzung-der-haeuslichen-krankenpflege-hkp-zur-ausserklinischen-intensivpflege-aki/ 

> Der Beschluss des G-BA zur AKI-RL vom 19.11.2021 wurde am 17.03.2022 im BAnz AT veröffentlicht und ist abrufbar unter www.g-ba.de/beschluesse/5142/

 

Haben Sie noch Fragen? Wenden Sie sich an unsere Mitgliedsorganisationen aus der Selbsthilfe: https://intensivkinder.de/ und https://www.intensivleben-kassel.de/ 

 

Kontakt Kindernetzwerk (knw): 

Benita Eisenhardt
Referentin Projekte und Entwicklung im Kindernetzwerk e.V. 
eisenhardt@kindernetzwerk.de