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Folgen für chronisch kranke Kinder und junge ErwachseneÖkonomisierung in der Medizin

Betriebswirtschaftliche Vorgaben der Kliniken beeinträchtigen immer weiter Behandlungsqualität, Patientensicherheit und Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals.

Die Bemühungen der Ärzte, den Einfluss ökonomischer Faktoren auf die Behandlung ihrer Patienten einzugrenzen, waren in den letzten Jahren nicht erfolgreich. Im Gegenteil.

Wo und wie sich die Ökonomisierung auf die Versorgung des chronisch kranken Kindes genau auswirkt, veranschaulicht K.-P. Zimmer von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Einblicke sind Vorlagen für unser politisches Handeln.


Das Gesundheitswesen als Wirtschaftsunternehmen: Wie chronisch kranke Kinder und junge Erwachsene unter den Folgen der Ökonomisierung leiden.


Während 1993 noch 3,9 Milliarden Euro aus dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) von den Ländern für beispielsweise Renovierung und Neubau der Kliniken zur Verfügung gestellt wurden, sank dieser Beitrag in den letzten 20 Jahren: 2015 etwa rund 2,8 Milliarden Euro, das entspricht etwa 0,09% des Bruttoinlandproduktes. Das wirkt sich auch auf Kliniken aus: Die Geschäftsleitung sieht sich zunehmend gezwungen, Gelder für Investitionen zu Lasten von Personalmitteln zu entnehmen. Das hat drastische Konsequenzen: Es gibt Fälle, in denen Ärzte, die ihre Pflichten in der Ambulanz der Kinderklinik erfüllt haben, mit dem Entzug von Personal bestraft wurden, weil es unrentabel war.

Dieses Sanktionsmuster herrscht bis heute für alle Bereiche vor, in denen Leistungen nicht refinanzierbar sind. Schuld sind nicht die Ärzte, beklagen sie selbst mehrheitlich, dass betriebswirtschaftliche Vorgaben direkt oder indirekt ärztliche Entscheidungen beeinflussen. Die Kernaussagen der Studie sind erschreckend:

  • Geschäftsführer von Kliniken müssen Gewinne erwirtschaften.
  • Ärzte werden durch Finanzmittelknappheit der Kliniken gezwungen, ärztliche Entscheidungen zu fällen, die nicht immer nur dem Wohl der Patienten dienen.
  • Betriebswirtschaftliche Vorgaben der Kliniken beeinträchtigen Behandlungsqualität, Patientensicherheit und Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals.

Eigentlich dürften Kliniken nicht wie Wirtschaftsunternehmen agieren, denn Ärzte dürfen „hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen". Das besagt die Berufs- und Therapiefreiheit der Ärzte (Berufsordnung BÄK § 2, Abs. 4). Betriebswirtschaftliche Gründe dürfen medizinische Entscheidungen nicht dahingehend beeinflussen, dass das Patientenwohl nicht das „oberste Gebot" darstellt.
Der Versuch der Ärzte gegen die Ökonomisierung im Gesundheitswesen vorzugehen, war bisher jedoch nicht besonders erfolgreich.

Die Gruppe chronisch erkrankter Kinder und Jugendliche ist besonders hart betroffen: Mindestens 15% der deutschen Kinder und Jugendlichen sind chronisch erkrankt, d.h. nicht heilbar, aber nachhaltig gut behandelbar. Da mehr als 2 Millionen unserer Gesellschaft von einem speziellen Versorgungsbedarf betroffen sind, handelt es sich um eine relevante, um nicht zu sagen vordringliche Herausforderung unserer Solidargemeinschaft. In dieser Gruppe chronischer Erkrankungen sind auch diejenigen Kinder und Jugendliche mit „seltenen" Erkrankungen inbegriffen, von denen es mehr als 9.000 verschiedene gibt.

Der Personal- und Zeitbedarf ist durch die Besonderheiten der Kinderversorgung (nonverbale Sprache, Einbezug der Eltern und der Familie u.a.) größer als in der Erwachsenenmedizin. Daher liegen die Personalkosten in Kinderkliniken rund 30% höher als in der Erwachsenenmedizin und umfassen bis zu 85% der Gesamtkosten.Die Behandlungsprozesse einer Kinderklinik können wenig vereinheitlicht werden, weil die Pädiatrie bis zu 400 bis 500 unterschiedliche Diagnosen (DRGs) im Alltag abdeckt.

Die Personalausstattungsempfehlungen von Leitlinien, z.B. Diabetesberater, werden vielfach von den Geschäftsführungen nicht als verbindlich angesehen, denn in der Regel stellt die Geschäftsführung einer Klinik dem Chefarzt nur so viel Personal zur Verfügung, wie durch das Budget der Klinik vorgegeben – refinanziert – ist. Die Geschäftsführungen der Kliniken empfehlen gar, die Anzahl der zu versorgenden Patienten dem vorhandenen Personal anzupassen.
Rosinenpicken statt bestmögliche Versorgung für chronisch kranke Kinder. Will eine Klinik nicht weitere Personalkürzungen riskieren, könnte sie geneigt sein, Erkrankungen bevorzugt zu behandeln, bei denen das Verhältnis von Erlös zu Kosten besonders günstig ist. Diät-, Physio-, Psychotherapeuten, Sozialpädagogen sind im Abrechnungssystem nicht oder wenig „erlöswirksam". In vielen Regionen stehen keine spezialisierten Pädiater zu Verfügung oder deren Tätigkeit wird mit dem Hinweis auf nicht refinanzierbare Kosten eingeschränkt. D.h. die Versorgung von Kindern und Jugendlichen leidet unter einem eklatanten Mangel an Interdisziplinarität, sektorübergreifender Vernetzung und Multiprofessionalität.
Deswegen muss das Personalbudget wieder den Behandlungsstandards bzw. der Personalintensität der Pädiatrie angepasst werden – nicht umgekehrt! Grundsätzlich brauchen wir für chronisch kranke Patienten bundesweit eine refinanzierbare Intensivierung der Zentrenbildung und Vernetzung, wobei die Kooperation und Integration mit den niedergelassenen Kinderund Jugendärzten, der ganzheitliche Charakter, inklusive Familie und Schule sowie die Multiprofessionalität, inklusive Diätfachkraft, Psychologen und Psychotherapeuten, Sozialpädagogen, Physiotherapeuten, gewährleistet sein muss.

 

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