Das IPReG verbessern:Unser Einsatz
Unser massiver Einsatz hat sich gelohnt! Es gibt eine Übergangsregelung bis Oktober 2023 – dadurch weniger Ängste für die Familien.
Aber erst einmal der Reihe nach:
Im Juli 2020 wurde das Intensivpflege und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) verabschiedet und im März 2022 trat die zugehörige Richtlinie für außerklinische Intensivpflege (AKI-RL) in Kraft. In der Folge müssen nun alle Verordnungen zur außerklinischen Intensivpflege zum 01. Januar 2023 nach der neuen Richtlinie ausgestellt werden. Dies gilt auch für beatmete und tracheotomierte Kinder und Jugendliche, für die der Gesetzesbeschluss eigentlich eine eigene Richtlinie vorgesehen hatte, die jedoch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nicht umgesetzt wurde.
Zahlreiche knw-Mitgliedsorganisationen zeigten sich sehr besorgt in Hinblick auf die Verordnungs- und Versorgungssicherheit für Kinder und Jugendliche, die auf außerklinische Intensivpflege angewiesen sind. Das Kindernetzwerk hat daher sowohl den Gesetzgebungsprozess als auch die Entwicklungen rund um die AKI-Richtlinie und deren Umsetzung im Blick behalten und sich für die Interessen der Familien mit Intensivpflegebedürftigen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eingesetzt.
Unser Einsatz im GKV-IPReG ThinkTank
Das Kindernetzwerk entsendet seit rund zwei Jahren ein Mitglied in den regelmäßig tagenden GKV-IPReG ThinkTank, der zum ersten Mal am 29. September 2020 tagte. Es handelt sich hierbei um einen Kreis aus Betroffenen, An- und Zugehörigen sowie von Vertreter*innen aus Selbsthilfe, Medizin, Wissenschaft, Medizintechnik, Pflege und Therapie. Anlass der virtuellen Zusammenkünfte war und ist das „Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPReG)", welches für die außerklinische Intensivpflege nach nunmehr fünf Jahrzehnten einen gravierenden Paradigmenwechsel darstellt. Der ThinkTank hat sich zum Ziel gesetzt, den politischen Diskurs zur ambulanten intensivpflegerischen Versorgung bis hinein in die Erstellung der Richtlinien und der Rahmenvereinbarungen fachlich, ethisch und politisch zu begleiten und die Bedürfnisse und Bedarfe von intensivpflegebedürftigen Menschen sowie deren Zu- und Angehörigen zu vertreten.
Der GKV-IPReG ThinkTank hat wesentliche Informationen zum Themenfeld auf seiner Homepage zusammengestellt, hier der Link zur Homepage: https://www.cody.care/gkv-ipreg-thinktank/
Unsere Befürchtungen, dass die Versorgungssicherheit von intensivpflegebedürftigen jungen Patienten bei der Umsetzung der AKI-Richtlinie zum Jahreswechsel 2023 gefährdet sei, konkretisierte sich im Rahmen der fachlichen Diskussionen von Patientenvertretern und Experten im GKV-IPReG ThinkTank. Da die ambulanten Strukturen für die vor einer AKI-Verordnung verpflichtende Überprüfung des Entwöhnungspotenzials bei beatmeten Kindern und Jugendlichen bundesweit noch nicht flächendeckend vorhanden sind, werden auf die Versorgungsstrukturen für intensivpflegebedürftige junge Patienten bei gleichzeitig hohem Fachkräftemangel wesentliche Änderungen zukommen. Auch sei, laut Rückmeldungen aus der Selbsthilfe, vielen der bisher verordnenden Hausärzte noch nicht bekannt, dass sich die Regelungen zur Verordnung von Außerklinischer Intensivpflege mit dem Jahreswechsel grundlegend ändern werden, und sie verpflichtend mit den potenzialerhebenden Strukturen kooperieren müssen, bevor sie eine Verordnung zur außerklinischen Intensivpflege ausstellen können.
Moratorium notwendig!
Das Kindernetzwerk setzt sich intensiv für die Berücksichtigung der pädiatrischen Versorgungslage bei der Ausgestaltung und Umsetzung der AKI-Richtlinie ein und unterstützt daher die Forderung des GKV-IPReG ThinkTank nach einem Moratorium und eine evaluierende Umsetzungsbegleitung der AKI-Richtlinie:
„Der GKV-IPReG ThinkTank appelliert an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), die Frist, ab dem die Verordnung von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege nur noch nach der Richtlinie über die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege (AKI) erfolgen kann, zu verlängern. Der Aufbau flächendeckender Versorgungsstrukturen, insbesondere für die vor jeder Verordnung erforderliche Potentialerhebung, kann bis zur vorgesehenen Umsetzung der AKI-Richtlinie ab dem 1. Januar 2023 aus Sicht der Unterzeichner*innen nicht gewährleistet werden. Die Verordnungssicherheit, für die zur Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen erforderliche ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft, ist dadurch substanziell gefährdet. Betroffene könnten unversorgt bleiben und Pflegedienste dürften und könnten notwendige Leistungen nicht erbringen. Weiterhin hält es der GKV-IPReG ThinkTank für erforderlich, die Umsetzung der neuen, teilweise noch nicht geschaffenen Voraussetzungen für die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege deutlich schneller als bisher vorgesehen zu evaluieren."
Hier der Link zur Forderung des GKV-IPReG ThinkTank nach einem Moratorium: https://www.cody.care/2021/12/07/memorandum-gvk-ipreg-thinktank/
Zahlen zum Personenkreis von Kindern und Jugendlichen mit AKI-Bedarf? Fehlanzeige!
Man sollte meinen, dass vor der Verabschiedung eines so weitreichenden Gesetzes wie des GKV-IPReG und der zugehörigen Richtlinie zur Außerklinischen Intensivpflege (AKI-RL), ein umfassendes Bild des betroffenen Personenkreises eingeholt wurde. Zumal die Versorgungsstrukturen für die nun verpflichtende Potenzialerhebung vor der Verordnung der Außerklinischen Intensivpflege für Kinder und Jugendliche nicht flächendeckend vorhanden sind. Eine Folgenabschätzung aufgrund valider Daten ist im Gesetzgebungsverfahren allerdings unterblieben. Aber auch die gesetzlich festgeschriebene Evaluation, die bis Ende des Jahres 2026 vorgesehen ist, bedarf zunächst einer Erhebung des Ist-Zustandes, sprich der bundesweiten Anzahl aller aktuellen Leistungsfälle bei der GKV. Leider konnte die Bitte um Angaben zur aktuellen Anzahl und Entwicklung der Leistungsfälle aller Minderjährigen, die Hauskrankenpflege (HKP) als spezielle Krankenbeobachtung nach Ziffer 24 erhalten, durch das Bundesministerium für Gesundheit nicht beantwortet werden. Hier hatte Henriette Cartolano von INTENSIVkinder zuhause e.V. eine Anfrage gestartet und vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Antwort erhalten: „keine Zahlen vorhanden, bitte wenden Sie sich an den GKV". Siehe hierzu unseren Artikel https://www.kindernetzwerk.de/de/agenda/News/2022/Gesetz-ohne-genaue-Datenlage.php
Insbesondere auch, weil bisher keine Zahlen zum Umfang des Personenkreises vorliegen und daher unklar ist, mit welchen Kapazitäten die neuen Potenzialerhebungsstrukturen für Kinder und Jugendliche ausgestattet sein müssen, hatte sich das Kindernetzwerk in einem Brief an Vertreter des GKV-Spitzenverbandes gewendet, mit der Bitte um Auskunft im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Abgestimmt mit INTENSIVkinder zuhause e.V. und IntensivLeben e.V. Kassel wurde nach der aktuellen Anzahl der beatmeten oder tracheotomierten Kinder und Jugendlichen in außerklinischer Versorgung, sowie der Anzahl von nicht beatmeten Kindern und Jugendlichen, die Leistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V, "spezielle Krankenbeobachtung" nach Ziffer 24, zulasten der GKV erhalten haben, gefragt. Und auch die Privaten Krankenversicherer wurden um Auskunft zu Leistungsfällen nach Ziffer 24 HKP zwischen 0 und 18 Jahren, sowie der Entwicklung dieser Leistungsfälle in den vergangenen fünf Jahren, gebeten.
Hier die Links zu den Briefen und deren Antwortschreiben:
Unser Brief an die GKV: https://www.kindernetzwerk.de/downloads/Brief_knw_GKV_Zahlen_Personenkreis_220628_0.pdf
Dieser Brief ging auch an alle Mitglieder der PKV. Die Antworten werten wir derzeit aus und stellen Sie bald zur Verfügung
Besondere Versorgunglage der Kinder nicht berücksichtigt!
Ab 1. Januar 2023 ist die Verordnung von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege nach der AKI-Richtlinie allgemein verbindlich und betrifft somit auch den Personenkreis von Kindern und Jugendlichen mit Bedarf an außerklinischer Intensivpflege. Voraussetzung für die (Weiter)Verordnung der speziellen Krankenbeobachtung (vormals Ziffer 24/HKP - nun Außerklinische Intensivpflege nach § 37c SGB V), ist die Potenzialerhebung durch besonders qualifizierte Fachärztinnen und Fachärzte vor jeder Verordnung. Dadurch soll festgestellt werden, ob eine Entwöhnung des Patienten von der künstlichen Beatmung notwendig ist. Im Gegensatz zu Erwachsenen lassen die zugrundeliegenden Erkrankungen von beatmeten Kindern und Jugendlichen in der Regel keine prolongierte Beatmungsentwöhnung zu, daher gibt es bundesweit auch keine Behandlungszentren, die auf die Beatmungsentwöhnung von Minderjährigen spezialisiert sind. Während die routinemäßigen stationären Kurzaufenthalte zur Evaluation der Beatmung in den letzten Jahren immer häufiger und wie Familien berichten, auch mehrfach hintereinander, auf Grund des stationären Pflegefachkräftemangels und der Bettensperrungen abgesagt wurden, stehen Institutsambulanzen im Zusammenhang mit Tracheostoma und Beatmung für Minderjährige deutschlandweit nur an einigen wenigen Standorten zur Verfügung. Das GKV-IPReG und die AKI-RL stellen nun sehr weitreichende Qualifikationsanforderungen an die zukünftig behandelnde Ärzteschaft, was den Personenkreis behandelnder Ärztinnen und Ärzte zusätzlich einschränkt.
Qualifiziert zur Potenzialerhebung gemäß AKI-Richtlinie sind grundsätzlich Pneumologen und Intensivmediziner mit entsprechender fachlicher Weiterbildung. Diese Fachärzte stehen in der ambulanten Pädiatrie jedoch kaum in ausreichender Anzahl zur Verfügung und haben bisher in der Regel auch keine Erfahrungen mit dem Personenkreis beatmeter und tracheotomierter Kinder und Jugendlicher. Die Fachärzte, die bisher die Beatmungseinstellungen und Beatmungskontrollen bei Kindern und jungen Menschen durchgeführt haben und bei denen die Erfahrungsexpertise für den Personenkreis vorliegt, sind in der Regel im Sinne der AKI-Richtlinie nicht formal qualifiziert. Darüber hinaus besteht die Besorgnis, dass sich nur wenige niedergelassene Pädiater für die aufwendige hausärztliche Betreuung von pädiatrischen Patienten mit Bedarf an außerklinischer Intensivpflege finden werden, um regelmäßig in Kooperation mit den potenzialerhebenden Strukturen einen Behandlungsplan zu entwickeln sowie die Verordnungen auszustellen. Der Aufbau geeigneter Strukturen für die Versorgung der pädiatrischen Patienten wird durch die anhaltende pandemische Situation zusätzlich erschwert.
Unsere Forderungen
1. Bezüglich der Umsetzung des GKV-IPReG und der AKI-Richtlinie für den Personenkreis intensivpflegebedürftiger Kinder und Jugendlicher sind angemessene Vorkehrungen zu treffen. Gegebenenfalls sollte überlegt werden, im Rahmen einer flankierenden Machbarkeitsstudie Kennzahlen einzuholen, die Aussagen zu den Kapazitäten und den Möglichkeiten der Umsetzung umfassen, um sachbezogene Einschätzungen vornehmen zu können. Weiterhin halten wir es für erforderlich, die Umsetzung der neuen, teilweise noch nicht geschaffenen Voraussetzungen für die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege deutlich schneller als bisher vorgesehen zu evaluieren. Für die mit dem Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) im § 40 SGB V eingeführte Änderungen der Rehabilitationsversorgung ist erstmals zum 30.06.2022 und anschließend jährlich vom GKV-Spitzenverband ein Bericht beim Bundesgesundheitsministerium vorzulegen, um die Erfahrungen mit der vertragsärztlichen Verordnung von geriatrischer Rehabilitation bewerten zu können. Die Wirkung der mit einer deutlich höheren Regelungsdichte und Eingriffsintensität verbundenen Neuordnung der Verordnungspraxis für außerklinische Intensivpflege soll dagegen erstmalig 4 Jahre nach Inkrafttreten bis Ende des Jahres 2026 evaluiert werden. Folgeprüfungen sind nicht vorgesehen. Dies ist nicht nachzuvollziehen und gefährdet die ggf. notwendigen Revisionsmöglichkeiten und verhindert eine zeitgerechte Reaktionsmöglichkeit zur Sicherstellung der Versorgung. Die Auswirkungen auf die Versorgung und die flächenhafte Entwicklung der für die Erhebung und Verordnung verfügbaren Fachärztinnen und Fachärzte im Bereich der AKI-Versorgung muss ebenfalls mindestens jährlich überprüft und dokumentiert werden, um die Verordnungs- und Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Angesichts der heute bereits unzureichenden Kapazitäten in der pflegerischen und medizinischen Versorgung dieser Patientengruppe bedarf auch die Umsetzung des Anspruchs auf außerklinische Intensivpflege und die Berücksichtigung der berechtigten Wünsche der Versicherten zum Leistungsort einer engmaschigen Überprüfung.
2. Verlängerung der Übergangsfrist in der HKP-RL nach §37 SGB V über den 1.1.23 hinaus und Kopplung des Stichtages für die verbindliche Umsteuerung aller HKP-Verordnungen/Ziffer 24 auf AKI, an flächendeckend gesicherte Strukturen zur Verordnung und Potenzialerhebung, insbesondere auch für Kinder und Jugendliche.
3. Anpassung der AKI-RL bezüglich der Qualifikation für die pädiatrische Potenzialerhebung. Die geforderte 18-monatige Ausbildung in einem zertifizierten Weaningzentrum kann keine Voraussetzung für die Zulassung pädiatrischer Fachärztinnen durch die KBV sein, da es für Kinder keine Beatmungsentwöhnungszentren gibt. Die Kinder sollen weiterhin von den klinischen Spezialistinnen und Spezialisten untersucht werden, die sich bisher um diesen Personenkreis bemüht haben. Nicht allein für eine sorgfältige Prüfung eventueller Beatmungsentwöhnungspotenziale oder Potenziale zur Dekanülierung, sondern insbesondere auch für die Therapiekontrolle und Therapieoptimierung zur Verbesserung der Lebensqualität, ist unbedingt eine fachliche, pädiatrische Expertise erforderlich.