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Meinungsbeitrag von Prof. Dr. K.-P. ZimmerWas sind DRGs - Was sind ihre Auswirkungen

DRGs („Diagnosis Related Groups", auch diagnosebezogene Fallgruppen oder Fallgruppenpauschalen genannt) wurden 2003 in Deutschland eingeführt. Entwickelt in den USA und Australien sollte damit ein stationär behandelter Patient nicht mehr nach Angabe der individuellen Behandlungstage, die von Krankenhaus zu Krankenhaus stark schwankten, bezahlt werden. Mit den DRGs erstatten die Kran- kenkassen die Kosten der Behandlung einer Diagnose bzw. eines Falles bzw. Patienten einheitlich für alle Patienten und Krankenhäuser nach gleichen Personal- und Sachkosten. Die Politik entschied sich für die Einführung der DRGs, um die vor dem Hintergrund des medizinischen Fortschritts und missbräuchlicher Abrechnungsmodalitäten steigenden Ausgaben der Krankenhäuser durch ein von staatlichen Subventionen unabhängiges, leistungsbezogenes, kontrollierbares und effizienzbasiertes Abrechnungssystem nach betriebswirtschaftlichen Vorgaben zu begrenzen.

Warnungen vor den DRGs gab es insbesondere in der Pädiatrie, so hat Prof. Spranger (Mainz) eine „Enthumanisierung der Medizin" vorhergesagt. Obwohl das DRG-System in vielen Ländern für die Kinder- und Jugendmedizin nicht eingeführt wurde, ist die stationäre Behandlung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland in den letzten 15 Jahren sehr nachhaltig davon geprägt worden.

Was hat sich mit der Einführung der Fallpauschalen (DRGs) in der Pädiatrie geändert? Die Fallpauschale gibt der Krankheit eines Patienten einen Preis. Man spricht von „cash-cow"-Diagnosen, mit denen eine Klinik viel Geld verdienen kann (z.B. Organ- transplantationen, Herzchirurgie, Prothesen- oder Wirbelsäulenchirurgie) und „poor-dog"-Diagnosen, mit denen aufgrund der Kosten eher Verluste für die Geschäftsbilanz eintreten. So erhält eine Klinik für die etwa viermonatige Behandlung eines extremen Frühgeborenen insgesamt etwa 170.000 Euro (etwa 1.500 Euro pro Tag), wobei eine relativ große Gewinnspanne besteht, wenn die Geschäftsführung Personal- und Sachkosten einspart. Andererseits wird ein vier Jahre alter ehemaliger Frühgeborener, der mit Zerebralparese und akuter Pneumonie stationär für 14 Tage behandelt werden muss, nur etwa 200 Euro pro Tag der Kinderklinik an Einnahmen erbringen. Auch der ambulante (tagesstati- onäre) Bereich, der gerade für Kinder und Eltern sehr attraktiv ist, leidet wegen Unterfinanzierung. Vor allem chronisch kranke Kinder zählen zu den Verlierern des DRG-Systems.

Die Ärzte dürfen sich nicht Patienten mit „cash- cow"-Diagnosen aussuchen oder bevorzugen, auch wenn solche Anreize im Finanzierungssystem von den Klinikträgern benutzt werden. Sie erhalten aber regelmäßig (monatlich) von ihnen nicht kontrollierbare Bilanzen, aus denen sie oft in Konkurrenz zu anderen Fachgebieten bzw. Abteilungen entnehmen können, ob sie gute oder schlechte Erlöse erzielen. Wenn viele Patienten mit „poor-dog"-Diagnosen zu behandeln sind, wird die Geschäftsführung Personalkürzungen ankündigen, um die Bilanz und angeblich auch die Existenz der Kinderklinik zu retten. Dieses Problem besteht leider regelmäßig in deutschen Kinderkliniken und als Lösung schlagen die Geschäftsführungen der Kliniken eine Fallzahlsteigerung vor, die durch Verkürzung der Verweildauer bzw. Behandlungsdauer möglich, aber nicht mit einer Verbesserung der Behandlungsqualität verbunden ist. So hat die Behandlungsdauer eines durchschnittlichen Falls in deutschen Kinderkliniken seit Einführung der Fallpauschalen von 5,7 auf 4,6 Tage (mit gleichzeitiger Zunahme der Fallbehandlungen) um etwa 25% abgenommen.

Aufgrund der vielen „poor-dog"-Diagnosen (durchschnittlicher Faktor 0,76) eröffnet die Kinder- und Jugendmedizin den Geschäftsführungen der Kliniken weniger Möglichkeiten, Gewinne oder Investitionsmittel zu generieren – dafür stehen andere Fachgebiete bei ihnen mit vielen „cash-cow"-Diagnosen wesentlich besser im Kurs (durchschnittlicher Faktor für Geriatrie 1,8, Neurochirurgie 2,3, Thoraxchirurgie 3,0, Intensivmedizin 4,9, Herzchirurgie 5,5). Erschwerend kommt in der Kinder- und Jugendmedizin hinzu, dass ihren Fallpauschalen Personalkosten von bis zu 80% (höher als in der Erwachsenenmedizin) zugrunde liegen und dass relativ wenige geplante Aufnahmen und relativ viele akute Behandlungen unter mangelnder Berücksichtigung der dafür erforderlichen Vorhaltekosten stattfinden.

Mit Ausnahme von Notfällen haben die Fallpauschalen – obwohl ethisch, berufsrechtlich und juristisch nicht zulässig – leider die Denkweise verbreitet, dass ähnlich wie bei einer Ware keine Verpflichtung zur Behandlung oder Hilfeleistung besteht, wenn die Refinanzierung der Leistung (betriebswirtschaftlich) nicht sichergestellt oder lukrativ ist. Diese Praxis fördert letztlich auch die Aufteilung einer medizinischen Versorgung in einzelne Leistungen („Patientenodysseen" bzw. „vom Spezialisten zu Spezialisten"). Vor Einführung der Fallpauschalen durfte nach Hilfsbedürftigkeit in der Klinik gehandelt werden, die Frage der Refinanzierbarkeit wurde nicht „am Bett" thematisiert.

Neben der Unterversorgung erzeugen die DRGs in ihrem „cash-cow"-Bereich aber auch Überversorgung (z.B. Kaiserschnitte, operative Eingriffe). Zur Erfassung und Kontrolle der Behandlungen wurde ein gewaltiger digitaler Dokumentations- und Kontrollapparat aufgebaut, der sehr viel Personalkapazität bindet und für das medizinische Personal mit einem Verlust an Patientenkontakt verbunden ist. Jedoch ist die Qualitätssicherung der Krankenversorgung in weiten Bereichen aus Sicht der Patienten immer noch nicht unabhängig, transparent und belastbar. Die Aufsichtsbehörden erfüllen ihre Kontrollfunktion und Verantwortung gegenüber den Geschäftsführungen der Klinikträger nur oberflächlich (z.B. Arbeitszeitgesetz).


Während die Erkrankung der Patienten mit der Fallpauschale einen Preis erhält, trägt der „Kostenpunkt" bzw. das „bilanzausgleichende Potenzial" des medizinischen Personals zu dessen geringer Wertschätzung bei. Die Ökonomisierung hat zu einer Identitätskrise des medizinischen Personals mit Burnout und Berufsausstieg geführt. Auch das Arzt-Patienten-Verhältnis wurde schwerwiegend beeinträchtigt, u.a., weil das medizinische Personal von den Geschäftsführungen der Kliniken unter Androhung von Strafen zur Verschwiegenheit verpflichtet wird („Maulkorbklausel"). Der Mangel an Vertrauen und Verantwortlichkeit führt im Gesundheitswesen zu hohen Transaktionskosten und Qualitätsverlust.

Fazit:
Unter den Fallpauschalen haben sich unsere Kliniken von einer patientenzentrierten, wissenschaftsbasierten, bedarfs- und qualitätsorientierten Krankenversorgung entfernt.

Der Deutsche Ethikrat hat ebenso wie der neue Gesundheitsminister Lauterbach von der Anwendung der DRGs in der Kinder- und Jugendmedizin abgeraten!

Kontakt:
Prof. Dr. K.-P. Zimmer
Abt. Allgemeine Pädiatrie & Neonatologie, UKGM, Gießen / Justus-Liebig-Universität
Tel.: +49 641 985 43411; E-Mail:
klaus-peter.zimmer@paediat.med.uni-giessen.de