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Annette Mund, Vorsitzende des Kindernetzwerk e.V.

Das Kindernetzwerk e.V. (knw) wurde vor ca. 30 Jahren von Raimund Schmid, Professor von Voss und Gerd Thomas, damaliger Generalbevollmächtigter der Fresenius AG, gegründet. Anlass war das Wissen um Kinder und Jugendliche, die „irgendwie anders“ waren, meist nicht in die bislang geltenden medizinischen Raster passten und in der damaligen Schul- und Arbeitswelt leicht scheitern konnten. Sie hatten keine Fürsprecher, keine Lobby.

In den ersten Jahren des Bestehens von knw ging es um die Recherche nach und die Sichtung von Literatur zu den vielfältigen Krankheits- und Behinderungsbildern, wie sie damals schon bekannt waren. In Zeiten ohne Internet war es für betroffene Familien schwierig, Informationen über die jeweilig vorliegende Beeinträchtigung/Behinderung/chronische Erkrankung zu erhalten; besonders schwierig wurde es, wenn es sich um seltene Erkrankungen handelte.

So bildete die Versorgung betroffener Familien mit geeigneten, verständlichen und validierten Informationen einen Schwerpunkt der Arbeit. Zu einem weiteren Schwerpunkt wurde die Beratung von anfragenden Eltern, aber auch von Ärzten und Fachleuten. Zu sehr vielen Erkrankungen wurden Informationspakete zusammengestellt, die auf Wunsch an die Anfragenden geliefert werden konnten. Zudem wurden nach und nach Datenbanken zu verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten entwickelt – so etwa eine Datenbank mit Namen und weiteren Kontaktdaten der Familien, die sich bereiterklärt hatten, auf Anfrage andere Familien mit dem gleichen oder einem ähnlichen Erkrankungsbild zu beraten bzw. mit ihnen in Kontakt zu treten.

Bald wurde ein Beraterkreis installiert, der aus Mitgliedern verschiedener pädiatrischer Richtungen bestand. Ziel war, bei Fragen rund um nicht so einfach zu klärende Erkrankungen/Behinderungen auf Fachleute zurückgreifen zu können, die aufgrund ihrer Expertise zu neuen und hilfreichen Hinweisen kommen, Tipps geben und auf Therapien verweisen können.

In den ersten Jahren hatten die Mitarbeiter von knw oft keinen leichten Stand in der medizinischen Welt. Ärzte und medizinische Fachleute konnten sich anfangs gar nicht für die Idee erwärmen, dass Eltern nun als Fachleute für die Belange ihrer Kinder auftraten und einen Diskurs um Erkrankungen, Behinderungen, Therapien, Heil- und Hilfsmittel auf Augenhöhe einforderten. Es war die Zeit vor einem Bio-Psycho-Sozialen Denken, vor ICF-CY, vor Integration und Inklusion. Es war die Zeit der Ärzte und Diagnosen und der ersten vorsichtigen Annäherung an das Themengebiet der Krankheitsfolgen.

Eltern galten häufig als schwierig, teilweise sogar als Störfaktor im medizinischen Umgang mit den beeinträchtigten/behinderten/chronisch kranken Kindern. Das Recht der Kinder auf informierte und geschulte Eltern im Umgang mit der Erkrankung wurde nicht gesehen. Ärzte und Therapeuten sahen sich als Fachleute, die richtige Entscheidungen für die beeinträchtigten Kinder trafen und Eltern eher über diese informierten als berieten bzw. versuchten, mit ihnen zusammen Entscheidungen zu finden. Natürlich gab es auch damals schon vereinzelt Ärzte, die eine regelhafte Einbeziehung von Eltern als wichtig ansahen, die auf das für das Kind bedeutende Umfeld abstellten und auf Teilhabe und Aktivitäten der Kinder hinwiesen (vgl. Oepen 2004).

Diesen Pädiatern ging es um die Berücksichtigung des Bedingungsgefüges des Lebens mit der Beeinträchtigung/Erkrankung/Behinderung des Kindes und den daraus resultierenden Folgen. Die grundlegende Idee der Sozialpädiatrie, das Kind in seiner individuellen Lebenslage zu sehen, bereitete den Boden auch für die weitere Arbeit des Kindernetzwerks. Der Direktor der Universitäts-Kinderklinik Mainz, Ulrich Köttgen, stellte 1977 in einem Aufsatz zur Lage der Sozialpädiatrie fest, dass „das soziale Denken und Handeln in Deutschland einen geringen Stellenwert habe“ (https://www.dgspj.de/ueber-uns/geschichte/).

Das 1980 in Deutschland eingeführte, von der WHO verabschiedete Krankheitsfolgenmodell ICIDH (international classification of impairments and handicaps) bahnte durch die Betrachtung der Abfolge der Ereignisse – Krankheit -> organisch/somatische Einschränkungen -> Schädigung der Funktionsfähigkeit der Organe -> Einschränkung in der Durchführung komplexer Fähigkeiten und Funktionen -> Einschränkung in der sozialen Integration (https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/krankheitsfolgenmodell), eine Sichtweise auf die Beachtung des Zusammenhangs von chronischer Krankheit und Teilhabe, ohne diese Vokabel damals schon zu nennen, geschweige denn im heutigen Sinn zu kennen.

Kindernetzwerk nahm die Botschaft der WHO in seiner Arbeit vollumfänglich auf, was sich schon im Namen darstellte. Von Anfang an stand das beeinträchtigte Kind im Zentrum aller Bemühungen von knw, aber es war klar, dass das Kind in ein Netz eingebunden ist, ohne das es nicht versorgt und gepflegt werden kann, ohne das es nicht aufwachsen kann. knw nahm von Beginn an die Familie als erste Umwelt des Kindes mit in den Blick der Arbeit; daneben, genauso selbstverständlich, sowohl die medizinische Welt, repräsentiert durch Ärzte, Therapeuten, Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen, als auch die bildungsrelevante Umwelt, wie Kita, Schule, Ausbildung und Beruf.

Ausgangspunkt aller medizinischen Behandlungen war lange Zeit alleinig die gestellte Diagnose. Es war noch nicht im Blick, den jeweiligen Schweregrad der Erkrankung zu ermitteln und Handlungsweisen daran abzustimmen, noch schaute man in genügender Weise auf die Folgen der Beeinträchtigung/chronischen Erkrankung/Behinderung. Ausgangpunkt der Überlegungen, die zur Gründung von knw geführt hatten, und ständige gedankliche Begleitung der Arbeit war und ist, ist das Wissen, dass die ganze Familie in all ihren Ausläufern von einer Beeinträchtigung/chronischen Erkrankung/Behinderung betroffen ist und dass individuell geschaut werden muss, wie der einzelnen Familie am besten zu helfen ist. Gleichzeitig aber soll der einzelne Fall in die Gesamtheit der ähnlich gelagerten Fälle eingebunden werden – auch um Öffentlichkeit für die Anliegen der betroffenen Familien herstellen zu können und die Politik für die Belange der Betroffenen zu sensibilisieren.

2011 wurde die ICF-CY (international classification of function – child youth) – Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen – in deutscher Sprache veröffentlicht. Ziel war, in einer gemeinsamen Sprache aller beteiligten Fachgruppen, die bisher im medizinischen Alltag fehlende Verzahnung von Diagnose, Schweregrad, Krankheitsfolgen, Aktivitäten und Teilhabemöglichkeiten zu benennen und eine Abänderung im Sinne einer umfassenden Betrachtung von Betroffenem, Krankheit/Behinderung, eigenen Ressourcen und Teilhabe zu fordern. „Die ICF bringt Kind und Eltern in die aktive Rolle von Mitwirkenden, wie es das SGB V fordert“ – sagt die Gesellschaft für Sozialpädiatrie auf ihrer Informationsseite zur ICF-CY (https://www.dgspj.de/qualitaetssicherung/icf-cy/).

Um die gesamte Vielfalt der Themen, die auftauchen können, wenn ein beeinträchtigtes/chronisch krankes/behindertes Kind in einer Familie lebt, der Politik näher bringen zu können, formulierte knw 2018 den 2. Berliner Appell. Der erste Appell hatte Politik und Öffentlichkeit etwas wachgerüttelt, hatte bewirkt, dass von Beeinträchtigung/chronischer Krankheit/Behinderung betroffene Familien etwas mehr als zuvor gesehen, in den Blick genommen wurden. Im zweiten Appell nun formulierte knw acht Punkte, die 2018 den Familien auf den Nägeln brannten, da sie nicht gelöst waren (https://www.kindernetzwerk.de/downloads/verein/Berliner_Appell.pdf). Ziel war, die Rechte der betroffenen Kinder und deren Familien auf Teilhabe und größtmögliche „Normalität“ zu formulieren und deren Bedingungsmöglichkeiten zu fordern. Bis heute hat sich leider nicht allzu viel an den beschriebenen Missständen gebessert:

(1) Den Alltag sicherstellen

„Der schon heute unhaltbare Notstand der Versorgung in vielen Familien ist den Verantwortlichen hinreichend bekannt. Ohne Unterstützung und Anerkennung des hierfür notwendigen Fachpersonals wird sich die Versorgungsmisere in den nächsten Jahren noch erheblich verschlimmern.“

Deshalb fordern wir

- eine angemessene Vergütung aller in der Versorgung tätigen Menschen, die der Bedeutung dieser Aufgabe und den damit verbundenen Belastungen gerecht wird,

- eine optimale Personalausstattung aller Einrichtungen und ambulanten Versorgungsformen, die genügend Zeit lässt für ein professionelles, den Alltag von Kindern und ihren Familien entlastendes Arbeiten,

- eine wirkungsvolle Imagekampagne zur Aufwertung dieser Berufe im öffentlichen Bewusstsein, die auch die Notwendigkeit einer professionellen Ausbildung und einer besonderen menschlichen Haltung gerade für eine den Alltag stärkende Versorgung von Kindern und Jugendlichen deutlich macht.

Heute: Leider sind diese Punkte knapp vier Jahre nach Veröffentlichung des Appells noch genauso aktuell und ungelöst wie zuvor.

 

(2) Für finanzielle Sicherheit sorgen

„Nach wie vor tragen Mütter die Hauptlast der familiären Betreuung und Pflege von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen. Viele von ihnen leben in finanzieller Unsicherheit. Dies führt dazu, dass sich die Chancenungleichheit immer weiter vergrößert.“

Deshalb fordern wir

- gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen, damit finanzielle Nachteile beseitigt werden,

- verbindliche Regelungen zu schaffen, damit ausreichende Rentenbeiträge entrichtet werden, um Altersarmut zu vermeiden,

- sehr stark belastete Familien in besonderer Weise zu unterstützen.

 Heute: In den letzten Jahren hat sich ansatzweise die Betrachtung der Arbeit eines pflegenden Elternteils oder Angehörigen insofern geändert, als dass beispielsweise Rentenpunkte für Pflegezeiten angerechnet werden. Dennoch besteht hier noch ein deutlicher Nachbesserungsbedarf.

 

(3) Ökonomisierung in der Pädiatrie stoppen

„Mit den verbesserten Therapiemöglichkeiten in der Pädiatrie stehen aufgrund struktureller und finanzieller Engpässe nicht automatisch auch bessere Behandlungsoptionen für Kinder und Jugendliche mit chronischen und seltenen Erkrankungen oder Behinderungen zur Verfügung.“

Deshalb fordern wir

- dass nicht die wirtschaftliche, sondern die bestmögliche Versorgung von Kindern das Ziel sein muss, wie es in der von Deutschland unterzeichneten UN- Kinderrechtskonvention festgeschrieben ist. Die Behandlungskapazitäten sind so auszubauen, dass der Versorgungsauftrag einer Region sichergestellt ist,

- dass die Versorgung von chronisch kranken Kindern und Jugendlichen nicht nur die fachlichen bzw. wissenschaftlich evidenten Vorgaben von Leitlinien (der AWMF) sondern auch die ethischen Mindeststandards erfüllen muss und dass diese nicht von Refinanzierungsbedingungen abhängig sein bzw. gemacht werden dürfen. Gerade sie benötigen verlässliche Behandlungsstrukturen und eine ausreichende Fachexpertise. Deshalb darf auch das Nationale Programm für Menschen mit seltenen Erkrankungen – der sog. NAMSE-Prozess – keinesfalls zur Disposition gestellt werden,

- mehr ganzheitliche Ansätze in der Pädiatrie, die bereits im Studium nicht nur das auf maximale Kostensenkung gerichtete Arbeiten und reine Organfächer in den Fokus stellen. Stattdessen brauchen wir mehr finanziell abgesicherte Versorgungsstrukturen, in denen auch nicht ärztliche Berufe und das Erfahrungswissen der Eltern-Selbsthilfe stärker zum Tragen kommen.

Heute: Heute gibt es in der pädiatrischen Versorgung vermehrt umfassende Ansätze in Therapie und Versorgung, die aber im medizinischen Alltag noch eher die Ausnahme als die Regel darstellen.

 

(4) Mehr Lotsen bereitstellen

„Eltern von Kindern und Jugendlichen mit hohem Versorgungsbedarf sind häufig durch die vielen unübersichtlichen Vorschriften und Bestimmungen überfordert und scheitern an bürokratischen Hürden, ihre Rechte und Ansprüche zu erfahren und durchzusetzen.“

Deshalb fordern wir

- fest verankerte Lotsen, die betroffene Familien in den Jahren nach der Diagnosestellung durch den Dschungel der Systeme ganzheitlich und familienorientiert führen. Bei Familien mit Migrationshintergrund sind hierzu zusätzlich Sprachmittler/Dolmetscher erforderlich, die auch ein besseres Verständnis für die kulturell unterschiedlichen Sichtweisen der Betroffenen ermöglichen,

- bereits bestehende erfolgreiche Lotsenmodelle bekannt zu machen und durch ihre Überführung in die Regelversorgung finanziell abzusichern,

- eine verbesserte Ausbildung der Case-Manager:innen, damit diese als Gesundheitslotsen in und für Familien das notwendige komplexe Fachwissen erwerben und erweitern können. 

Heute: Aus allen Untersuchungen, die zum Alltag betroffener Familien gemacht werden, geht hervor, dass der Abbau der Bürokratie, die heute noch notwendig ist, um die Versorgung zu gewährleisten, die wesentlichste aller Forderungen ist. Um bei allem notwendigen aber sicherlich meist völlig überbordenden Papier“krieg“ den Überblick behalten zu können und weder in Unter- noch Überversorgung zu gelangen, sind Lotsensysteme auch heute eine unabdingbare Forderung.

 

(5) Die Transition strukturell und finanziell regeln

„In unserem Gesundheitssystem werden junge Menschen mit einer chronischen oder seltenen Erkrankung oder Behinderung beim Übergang ins Erwachsenenleben ungenügend unterstützt.“

Deshalb fordern wir

- eine flexible Altersgrenze für die Transition (16 bis 24 Jahre),

- einen Rechtsanspruch für alle betroffenen Jugendlichen auf Teilnahme an einem bundesweit strukturierten Transitionsprogramm, das jungen Erwachsenen u.a. auch in der Arbeitswelt eine aktive und positive Lebensgestaltung ermöglicht und junge Menschen mit Einschränkungen in den ersten Jahren des Erwerbslebens nachhaltig unterstützt,

- die flächendeckende Einrichtung Medizinischer Zentren für Erwachsene mit geistiger oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB).

Heute: Die deutsche Gesellschaft für Transitionsmedizin veröffentlichte 2021 eine S3-Leitlinie zum Thema. In der Zwischenzeit gibt es mehr als 70 MZEB, verteilt über das gesamte Bundesgebiet (https://bagmzeb.de/mzeb-finden/).

 

(6) Kinderrechte und Kinderbewusstsein verankern

„Während Alte und pflegebedürftige Erwachsene zunehmend im Vordergrund stehen, sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit besonderen Bedürfnissen nicht genügend im Fokus von Politik und Gesellschaft.“

Deshalb fordern wir

- eine feste Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz,

- das vollständige Umsetzen der UN-Kinderrechtskonvention hin zu einer bestmöglichen (und nicht nur ausreichenden) gesundheitlichen Versorgung gerade von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit chronischen und seltenen Erkrankungen und/oder Behinderung, in Armut oder mit Migrationshintergrund,

- das Einsetzen eines ähnlich dem Wehrbeauftragten mit Befugnissen und Fachkräften ausgestatten unabhängigen Kinderbeauftragten im Bundestag zur Stärkung des Kinderbewusstseins.

Heute: Politik hat inzwischen erkannt, dass die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ein Meilenstein in der Wahrung der Kinderrechte darstellen würde und hat sich deshalb verpflichtet, diesen Weg zu gehen. Die beiden anderen Forderungen bleiben bestehen und werden von knw auch heute noch stark unterstützt.

 

(7) Forschung der Kindergesundheit stärken

„Obwohl in Kindheit und Jugend viele, auch seltene Erkrankungen auftreten, gibt es in Deutschland keine ausreichenden Forschungsaktivitäten für Kindergesundheit.“

Deshalb fordern wir

- staatlich finanzierte Forschungsstrukturen, die bestehende Zentren vernetzen, alle relevanten Erkenntnisse und Informationen bündeln und die Forschung in Hinsicht auf Qualitäts- und Ausbildungsstandards in der Medizin für Kinder und Jugendliche sicherstellen,

- verstärkte Bemühungen der Arzneimittelhersteller um Forschung, Zulassung und Erhalt von Kinderarzneimitteln,

- eine stärkere Berücksichtigung kinder- und jugendspezifischer Belange bei der Nutzenbewertung im Gemeinsamen Bundesauschuss.

Heute: Das Deutsche Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit, verteilt auf diverse Standorte und Spezialisierungen, bemüht sich seit 2021 verstärkt um Forschung, Erkenntnisgewinn und Informationsbündelung. Die weiteren Forderungen bleiben bestehen.

 

(8) Die Inklusion voranbringen

„Noch immer werden Kinder und Jugendliche wegen ihrer chronischen oder seltenen Erkrankung oder Behinderung ebenso wie ihre Familien von der Gesellschaft ausgegrenzt.“

Deshalb fordern wir

- die Erarbeitung einer gemeinsamen differenzierten Haltung zur Inklusion innerhalb der Verbände der Menschen mit Behinderungen unter Federführung der Bundesbeauftragten für Behinderungen. Das Kindernetzwerk wird hierzu einen mit seinen Mitgliedsverbänden erarbeiteten Vorschlag unterbreiten,

- die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien bei Entscheidungsprozessen in allen versorgungsrelevanten Angelegenheiten,

- länderübergreifend vereinheitlichte Regularien für den Nachteilsausgleich in Schule und Ausbildung zum Beispiel durch das Einbinden von Theorie und Praxis des Nachteilsausgleichs in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften.

Heute: Grundsätzlich besteht an der Zustimmung zur Inklusion keinerlei Zweifel; knw arbeitet jedoch an der Ausrichtung der individuell besten Maßnahmen der zu inkludierenden Kinder.

 

Kindernetzwerk und Corona

Das Leben hat sich seit Beginn der Corona-Epidemie deutlich geändert. In den Anfragen und Beratungswünschen betroffener Familien kristallisiert sich eine große Sorge um die Realisierung der Rechte aller Familienmitglieder auf Teilhabe und Gesundheitsschutz heraus. So deutlich wie nie zuvor wird klar, dass Krankheit keine persönliche Sache ist. Sie betrifft alle Familienmitglieder, auch wenn (erst einmal) nur ein Mitglied betroffen ist. Das Umfeld der Familie, die individuell „gestrickten“ Hilfsmöglichkeiten, die staatlich bislang zu Verfügung gestellten Hilfesysteme – alle sind von der Krankheit betroffen.

Nie zuvor war so deutlich, dass alle Menschen zur Bewältigung von Krankheit und deren Folgen ein Hilfenetz brauchen, das tragfähig ist. Ganz besonders gilt dies aber für von Beeinträchtigung/chronischer Krankheit und/oder Behinderung betroffene Familien. Knw stellte schon zu Beginn der Epidemie alle Angebote auf Onlineformate um; spezielle Beratungsangebote rund um die verschiedenen Familienthemen unter Corona-Aspekten wurden eingerichtet. Das Eigentliche der Selbsthilfe – der Austausch Betroffener untereinander – wurde gefördert durch die Schaltung der Unterseite https://www.kindernetzwerk.de/de/agenda/Themenportal/2020/Covid-19_Corona/0401-Betroffene-Eltern-erzaehlen-aus-ihrem-problematisc.php.

Aus allen Wünschen, Posts, Beratungswünschen betroffener Eltern, aber auch von Lehrern, Ärzten und Therapeuten geht deutlich hervor, dass es den einen Fall, die eine betroffene Familie nicht gibt. So breit gestreut wie die Familienlebenslagen, so breit gestreut sind die individuellen Nöte und Sorgen. Es kann keine pauschalen Hilfsangebote geben, keine für alle gültigen Herangehensweisen an die Bewältigung der Pandemiefolgen – mit Ausnahme des Maskentragens, des Abstandhaltens, der allgemeinen Einhaltung der Hygiene- und Impfmaßnahmen. Genaues Zuhören, genaues Verstehen und umfassende Kenntnisse der gesetzlichen Hintergründe innerhalb des Föderalismus in Bezug auf die Corona-Gesetzgebung sind jetzt notwendig, um in der individuellen Lebenslage der betroffenen Familie sinnvoll und zielführend unterstützen zu können.

Alle Gremien von knw sind gefragt. Wo immer die Expertise der Mitarbeiter und der medizinischen Berater von knw nicht ausreicht, wird versucht, dennoch Antworten, weitere Fachleute und Ansprechpartner zu finden und zu vermitteln. In allen Aspekten der Arbeit gilt, die Bedarfe und Bedürfnisse betroffener Familien zu erkennen, zu ihrer Realisierung beizutragen, das Selbstbewusstsein dieser Familien zu stärken und ihnen zu helfen, ihr Recht auf Teilhabe und gesellschaftliche Zugehörigkeit zu fördern. Um dies zu gewährleisten, arbeitet knw eng mit Politik und Öffentlichkeit, mit Fachverbänden und allen Professionen, die Kinder und deren Familien in den Blick nehmen, zusammen.

 

Autorin Dr. Annette Mund ist Vorsitzende des Kindernetzwerk e.V. in Aschaffenburg

 

Literatur

Oepen, J. (2004): Rehabilitation unter dem neuen ICF-Paradigma. Kinderärztl Prax 75: 466-475.