Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im BundestagOffener Brief schlägt Wellen
12.06.2020:
Der Offene Brief des „Bundesverbandes Herzkranke Kinder e.V.", den wir als Mitunterzeichner neben dem „ Kompetenznetz angeborener Herzfehler" und der „BAG Selbsthilfe" am 24.04.2020 an politische Entscheider gesandt haben, schlägt Wellen: Mit Bezug auf dieses Schreiben hat die FDP-Fraktion eine „kleine Anfrage" im Bundestag gestartet. Diesen Disput möchten wir Ihnen nicht vorenthalten:
Die Fragen der FDP-Fraktion und die Antworten der Bundesregierung im Überblick:
1. Sieht die Bundesregierung Familien mit chronisch kranken Kindern angesichts der gegenwärtigen Corona-Pandemie vor überdurchschnittlich hohen gesundheitlichen Herausforderungen, und wenn ja, was plant sie, diesbezüglich zu unternehmen (bitte begründen)?
2. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass ein bestmöglicher Schutz chronisch kranker Kinder vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 nur durch ein Fernbleiben der Eltern von ihrem Arbeitsplatz erreicht werden kann (bitte begründen)?
Die Fragen 1 und 2 werden wegen des engen Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Nach derzeitiger Kenntnislage haben Kinder insgesamt eher ein geringeres Erkrankungsrisiko für Covid-19 und auch schwere Krankheitsverläufe treten bei Kindern nur in Einzelfällen auf. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e. V. (DGPK) und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ) weisen in ihren Stellungnahmen von Ende April 2020 darauf hin, dass es für die Einschätzung der Situation von chronisch kranken Kindern einer differenzierten Betrachtung der Art und Schwere der Erkrankung, der Wirksamkeit der Therapie und weiterer Faktoren bedarf. Die DGKJ führt aus, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen, die gut kompensiert bzw. gut behandelt und daher in ihrer Lebensqualität wenig oder unbeeinträchtigt sind, kein höheres Risiko für eine schwerere COVID-19-Erkrankung zu fürchten haben, als es dem allgemeinen Lebensrisiko entspricht. Dazu zählen z. B. Kinder mit Diabetes mellitus Typ 1, Asthma, neurologischen oder endokrinologischen Erkrankungen und Kinder mit angeborenen Herzfehlern oder Herz-Kreislauferkrankungen, die zu keinen starken Beeinträchtigungen führen. Dagegen sei es vorstellbar, dass z. B. Kinder mit sehr schwerwiegenden chronischen Erkrankungen, wie z. B. Erkrankungen, die die Lungenfunktion, das kardiovaskuläre System oder die Nierenfunktion in relevantem Maße beeinträchtigen und Kinder mit einem schwerwiegendem Immundefekt oder mit immunsuppressiver Therapie einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf unterliegen. Das Risiko ist daher individuell – ggf. in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin – einzuschätzen. Eine generelle Notwendigkeit des Fernbleibens der Eltern von chronisch kranken Kindern vom Arbeitsleben wird vor diesem Hintergrund nicht gesehen. Allerdings können Schließungen von Schulen und Betreuungseinrichtungen ebenso wie Veränderungen des ambulanten Versorgungsangebotes zu einer Mehrbelastung der Familien führen, die sich je nach Art und Umfang des Betreuungsbedarfes auswirken dürfte.
3. Hat die Bundesregierung eine Bewertung, ob die bisher verabschiedeten Bundesgesetzte zur Bewältigung der Corona-Pandemie die Probleme, vor denen Familien mit chronisch kranken Kindern stehen, in adäquater Weise berücksichtigt werden, und wie lautet diese (bitte begründen)?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass bei den bisher verabschiedeten Bundesgesetzen zur Bewältigung der Corona-Pandemie die Probleme, vor denen Familien mit chronisch kranken Kindern stehen, in adäquater Weise berücksichtigt worden sind. Beispielsweise mit dem krisenfesten Elterngeld, dem Notfall-Kinderzuschlag, dem Kurzarbeitergeld und den Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz unternimmt die Bundesregierung viel, um die Gesundheit und die wirtschaftliche Stabilität der Familien während der Corona-Pandemie zu sichern, dies kommt auch Eltern mit chronisch kranken Kindern zugute.
4. Sind der Bundesregierung aus ihren Gesprächen mit den Landesregierungen Bestrebungen einzelner Länder bekannt, Sonderregelungen für chronisch kranke Kinder bei Wiederöffnungen von Schulen zu treffen?
a) Wenn ja, um welche Länder handelt es sich, und welche Sonderregelungen sind beabsichtigt?
b) Wenn nein, plant die Bundesregierung, Sonderregelungen im Rahmen kommender Bund-Länder-Gespräche vorzuschlagen?
Für die Schulen und die Regelung ihrer Wiedereröffnung sind nach der föderalen Ordnung des Grundgesetzes die Länder zuständig. Diese stimmen sich untereinander in der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) ab. Der Bund ist in der KMK Gast und verfügt über keine Erkenntnisse über Be-strebungen der Länder, Sonderregelungen für chronisch kranke Kinder bei Wiedereröffnungen von Schulen zu treffen. Angesichts der ausschließlichen Länderzuständigkeit beabsichtigt die Bundesregierung nicht, den Ländern Vor-schläge für etwaige Sonderregelungen zu unterbreiten. Die KMK stellt in ihrem auf Bitten der Regierungschefinnen und Regierungs-chefs von Bund und Ländern für deren Konferenz am 6. Mai 2020 erarbeiteten Rahmenkonzept für die Wiederaufnahme von Unterricht in Schulen (Beschluss der KMK vom 28. April 2020) fest, dass das Recht auf Bildung aller Schülerinnen und Schüler und die Wahrung der Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit von zentraler Bedeutung seien. Zudem hätten der Infektionsschutz und der Gesundheitsschutz aller Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte und des weiteren Personals an Schulen höchste Priorität. Bei allen Entscheidungen müsse dies Maßgabe für die weiteren Schritte sein. Auch wird im Rahmenkonzept unter Ziffer 8 auf die besondere Situation von Schülerinnen und Schülern mit Grunderkrankungen und den für diese Gruppe notwendigen verstärkten Infektionsschutz eingegangen.
5. Hat die Bundesregierung eine Rechtsauffassung zu der Frage einer möglichen Freistellung von Eltern chronisch kranker Kinder von ihrer Arbeit bei Lohnfortzahlung, die nicht wie gemäß § 56 Absatz 1 des Infektionsschutz-gesetzes (IfSG) auf dem eigenen Infektionsstatus oder wie gemäß § 56 Ab-satz 1a IfSG auf der Schließung von Betreuungseinrichtungen basiert, sondern auf dem erhöhten Gefährdungsgrad ihrer Kinder, und wie lautet diese?
Allein ein erhöhter Gefährdungsgrad für die Ansteckung chronisch kranker Kinder begründet keinen Anspruch auf bezahlte Freistellung der Eltern vom Arbeitsverhältnis. Soweit Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung nach ärztlichem Zeugnis zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines er-krankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere im Haus-halt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist, haben sie nach § 45 Fünftes Buch Sozialgesetz-buch (SGB V) Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung des Kindes. Dieser Anspruch besteht in jedem Kalenderjahr für jedes Kind je Elternteil längstens für 10 Arbeitstage, bei alleinerziehenden Versicherten längstens für 20 Arbeits-tage. Bei mehreren Kindern besteht der Anspruch für Versicherte für nicht mehr als insgesamt 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr. Bei einer schweren, unheilbaren Erkrankung eines Kindes mit nur noch geringer Lebenserwartung besteht nach § 45 Ab-satz 4 SGB V für ein Elternteil ein Krankengeldanspruch ohne zeitliche Einschränkungen. An den Krankengeldanspruch ist ein Anspruch der Versicherten gegenüber ihren Arbeitgebern auf unbezahlte Freistellung von der Arbeits-leistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht, gebunden (§ 45 Absatz 3 SGB V).
6. Gibt es Planungen der Bundesregierung dahin gehend, dass Familien chronisch kranker Kinder bei der Durchführung von Tests auf SARS-CoV-2 so-wie bei Antikörpertests prioritär behandelt werden (bitte begründen)?
Im Rahmen der Ausweitung der entsprechenden Testungen ist zu erwarten, dass auch besonders gefährdete Gruppen von diesem Vorgehen profitieren wer-den. Es erscheint sinnvoll, dass medizinische Risikobewertungen Eingang finden in die Entscheidungen und Strategien der zuständigen Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes der Länder.